Sonderzahl, vor ziemlich genau 35 Jahren gegründet, widmet sich mit seinem Programm dem komplexesten aller Genres: dem Essay. Jener hybriden Form zwischen Literatur und Wissenschaft also, die über ein reflektierendes Ich verfügt und der, als Modus des Denkens, keine inhaltlichen Grenzen gesetzt sind. In allen Wissensgebieten sind solche suchenden, fragenden, sich selbst befragenden, ihre Themen umkreisenden Texte möglich: Von der Literaturwissenschaft bis zur Architektur, von der Filmtheorie bis zur Soziologie, von der Gesellschaftskritik bis zur Philosophie, von der Psychoanalyse bis zu den Naturwissenschaften, vom Reisebericht bis zur Poetikvorlesung reicht sein Spektrum – und da wäre eine selbstreflexive Belletristik im Geiste Robert Musils, die gegenüber einer naiven Erzählhaltung Skepsis bewahrt, noch gar nicht eingerechnet.
Darüber hinaus ist der Essay als Versuchsanordnung auch eine Lebenshaltung, die sich programmatisch der Ungleichzeitigkeit aussetzt: Um das aus der Zeit Gefallene in den Blick zu holen, das allzu Geläufige zu hinterfragen, ja zu unterminieren, und es am Möglichen zu messen.